Jahrzehnte der Übernutzung und Behördenschlamperei ließen am 19. April 2007 die Anlegestelle der Reederei Riedel nahe Kottbusser Brücke in den Landwehrkanal (LWK) rutschen. Wenig später kam es zu Absackungen am Technik-Museum. Seit der Wende für den LWK zuständig, hatte das Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin (WSA) seine Unterhaltungspflichten sträflich vernachlässigt und zugelassen, dass ein ständig wachsender Fahrgastschiffsverkehr die historische Uferbefestigung beschädigt. Nun stellte das WSA fest, dass Uferabschnitte in der sog. „Regelbauweise“ auf einer Länge von ca. 11 km äußerst marode sind. Zur (vermeintlichen) Gefahrenabwehr wollte die Amtsleitung 200 Bäume am Kanal sofort fällen lassen. Die dann vorgesehene Sanierungsart hätte ein Fällen aller Bäume im Abstand von ca. 3 Metern zu den Ufermauern erfordert.
Die am 22. Mai 2007 auf der Kreuzberger Admiralbrücke gegründete BI „Bäume am Landwehrkanal” stellte sich diesem Irrwitz entgegen. Sie sammelte in kurzer Zeit ca. 26.000 UnterstützerInnen-Unterschriften und erzeugte durch vielfältige Aktionen eine große Medienresonanz. Das WSA musste von seinen Planungen abrücken, bis auf 38 Bäume konnten (vorerst) alle gerettet werden. 22 davon ließ der damalige Amtsleiter Brockelmann jedoch unter massivem Polizeischutz und während laufender Verhandlungen fällen.
Dieses heimtückische Vorgehen führte zu vehementen Protesten auch von Seiten engagierter PolitikerInnen und zwang das Bundesverkehrsministerium zum Einlenken. Amtsleiter Brockelmann wurde abgesetzt und die Forderung nach einem Mediationsverfahren zur zukunftsfähigen Sanierung des Landwehrkanals erfüllt. An diesem bundesweit größten Mediationsverfahren nehmen seit Oktober 2007 VertreterInnen von rund 25 Behörden, Institutionen, Verbänden sowie der BürgerInnen teil. Im sog. Mediationsforum, in sechs Arbeitskreisen und diversen Arbeitsgruppen wird seitdem in vielen hundert Stunden (von den BürgervertreterInnen ehrenamtlich) um einvernehmliche Sanierungslösungen gerungen.
– Der Amtsleiter des WSA Berlin, Michael Scholz, hat sich zum „bestmöglichen Baumschutz” und zum „ganzheitlichen” Herangehen an die Sanierung verpflichtet.
– Die BI setzte einen „Bauleiter Baumschutz” durch, der dort, wo Bäume involviert sind, das Baugeschehen überwacht.
– Es wurden Handlungsroutinen beschlossen, die auch bei unvorhergesehenen Vorkommnissen – ob nun Bäume beteiligt oder technische Modifizierungen gefragt sind – eine enge einvernehmliche Kooperation sicherstellen.
– Es gibt erste Schritte in Richtung transparentes Verwaltungshandeln, ein Ernstnehmen der ökoligischen Erlasse und Leitbilder sowie eine bessere Abstimmung zwischen den beteiligten Behörden verschiedener Verwaltungsebenen.
– die Interessengruppen und Akteuere haben im Mediationsforum einen umfassenden Kriterienkatalog zur Beurteilung möglicher Sanierungsvarianten und Planungen beschlossen sowie eine Interessensammlung entwickelt.
– Dieser Kriterienkatalog und die Interessensammlung, woran sich eine gute Lösung jeweils messen lassen muss, sind nun Bestandteil der Konzeption des neuen Entwurfs der Haushaltsunterlage zur Mitteleinwerbung für die Sanierung.
– Vorschläge der BürgervertreterInnen führten zu baumfreundlicheren und umweltverträglicheren Verbesserungen von WSA-Vorschlägen
– Dank BürgerInnenengagement im Mediationsverfahren konnte das WSA zum Testen und Einsetzten innovativer, umweltfreundlicher Technik veranlasst werden. Ein leiseres, erschütterungs- und abgasarmes Einbringen von Spundbohlen selbst bei sehr hartem Untergrund ist damit möglich.
– Nunmehr liegt ein komplexes digitales Baumkataster vor; kanalbegleitend wachsen ca. 4.500 Bäume aus 114 Arten und Unterarten sowie zuzätzlich Gebüsch – eine stadtklimatisch und floristisch einmalige Situaiton.
– Der havarierte Riedel-Anleger an der Kottbusser Brücke wurde im Einvernehmen aller Beteiligten umfassend saniert, das äußere Erscheinungsbild ist erhalten. Dadurch war keine kosten- und zeitaufwändige Planfeststellung erforderlich (eine für unterschiedlich hohe Schiffe und Boote Kombie-Steganlage befindet sich noch in Planung durch den Nutzer).
– Zum ökologischen und naturschutzfachlichen Potential des Kanals und seiner Ufer wird eine sog. Umweltverträglichkeitsstudie durchgeführt, der Entwurf einer Bestandserfassung über die bestehenden Unterlagen liegt vor.
– Im Sommer 2011 konnten die Betonblöcke und Baumanbindungen im letzten der sechs betroffenen Abschnitte entfernt werden. Diese sechs Abschnitte sind bereits im März 2009 vom Mediationsforum für die Sanierung als Pilotstrecken verabschiedet worden. Die angewendeten Sanierungskriterien sind: sichere Statik, denkmalgerechte Erscheinung, kein Fällen der Bäume und keine Planfeststellung.
– Die Uferbäume auf diesen Strecken – einschließlich jener fünf am Tempelhofer Ufer, deren Fällen 2007 durch massiven Protest mit Baumbesetzungen verhindert werden konnte – haben das Einbringen der Stahlspundbohlen unbeschadet überstanden. Dies war einer wirklich beispielhaften und hoffentlich Schule machenden Kooperation zwischen WSA, BürgerInnen, Bezirksamt Kreuzberg , Wasserbaufirmen, Baumgutachter
und Baumkletterern zu verdanken.
Das Mediationsforum mit seinen Untergruppen ist längst auf dem Weg zu einer Planungsgruppe. Dies schafft gute Vorraussetzung für nachhaltige Lösungen, weil Planungsbetroffene, die verschiedenen Interessengruppen und zuständigen Institutionen sich unmittelbar austauschen können.
Derzeit geht es um die Erstellung einer Haushaltsunterlage zur Mitteleinwerbung im Bundeshaushalt 2013. Die dafür geforderte Erfassung des IST-Zustands des gesamten Kanals inklusive einer ersten Skizzierung seiner ökologischen Potentiale hat die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung inzwischen abgeschlossen.
Auch das Mediationsverfahren ist mit seiner sozial befriedenden Wirkung darin aufgenommen, während sein Interessen- und Kriterienkatalog Bestandteil der Konzipierung des SOLL-Zustands werden wird – ein wahrlich modellhaft partizipativ erstellter Entwurf. Erst wenn dieser, mit Kostenermittlungen unterlegt, vom Ministerium genehmigt und danach von der Politik gebilligt ist, wird sich zeigen, ob die bisherigen Ergebnisse und Erfolge des Mediationsverfahrens ernst genommen werden.
Es geht um mehr als eine aus wasserbautechnischer und denkmalpflegerischer Sicht gelungene Wiederherstellung des Kanals! Durch die Sanierung müssen die vielfältigen Potentiale, die der Landwehrkanal bietet, gefördert und entwickelt werden. Dies kann nur eine integrierte Gesamtplanung gewährleisten. Haupterfordernisse sind dabei die innerstädtische natur- und wassernahe Erholung, die Förderung der Ufergrünzüge als Wander- und Ausbreitungskorridor für Flora und Fauna, Stärkung der Funktionen Kaltluftschneise und Schattenspender sowie – im Zeichen von Klimaschutz und emissionsfreier Mobilität – die Anlage eines durchgehenden Fuß- und Radwanderwegs verbunden mit einer sozialen Verträglichkeit.
Alle Welt spricht derzeit von Partizipation, Bürgerbeteiligung, Transparenz bei Planungen und einer notwendigen Ablösung der Beteiligungsrituale in Planfeststellungsverfahren. Mit dem Mediationsverfahren „Zukunft Landwehrkanal“ haben wir in vierjähriger Arbeit schon ein gehöriges Stück Weg in diese Richtung zurückgelegt.
durchgehende Fuß- und Radwegeverbindung beiderseits des Kanals.
Ausweitung und Verbesserung der Freiflächen, Naturerfahrungsräume für eine praktische-anschauliche Umweltbindung.
Beseitigung von Ausbreitungsschranken, Umbau des Überlaufwehrs an der Unterschleuse zur Verbesserung der Durchlässigkeit für Fische und Biber, Biotopvernetzung durch Anbindung der Tiergartengewässer (Neuer See).
barrierefreie Zugänge und Wegeführung.